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Fall Drygalla: Guter Polizist, böser Polizist

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Das kennt man aus amerikanischen Filmen: ein Bulle übernimmt die Einschüchterung, der andere gibt sich freundlich und verständnisvoll, so lange, bis der Verhörte durch das Wechselbad psychisch weichgeklopft ist und sein Geständnis ablegt.

Daran mußte ich wieder angesichts der Titelseite der aktuellen Zeit denken, die sich unter der Schlagzeile „Was darf man in einer Demokratie?“ zur Rettung der verlorenen Ehre der Nadja Drygalla aufschwingt. Den Ritter in glänzender Rüstung gibt Jens Jessen (sekundiert von Daniel Cohn-Bendit) mit einem empörunggesättigten Artikel.

Er nennt die Medienhatz auf Drygalla einen „Schauprozeß“, ihren Rausschmiß aus dem Olympia-Team eine „Feigheit“ und einen „Skandal“, spricht von „Presseverhören“, „Sippenhaft“, „existenzbedrohendem Verdacht“ und zieht Vergleiche zu den „Prozessen der Stalin- und Hitlerzeit“ und der RAF-Sympathisantenjagd der Siebziger Jahre. Dies alles würde beherrscht durch eine „finstere, abergläubische Vorstellung“ von „Kontaktschuld“, die nach sofortiger Quarantäne des mutmaßlich Infizierten verlangt: „Häßlicher kann menschliches Denken kaum sein.“

Das ist alles völlig richtig, nur wirkt es nicht  nur ein bißchen heuchlerisch, ein solches „J‘accuse!“ ausgerechnet in der Zeit zu lesen. Diese ist bekanntlich eines der eifrigsten Zentralorgane des politischen Kakerlakendenkens und des „Kampfes gegen Rechts“, der eben am effektivsten dadurch geführt wird, daß eine diffuse Angst vor „Kontaktschuld“ erzeugt und zur aktiven Denunziation der dämonischen Diversanten aufgerufen wird. Insbesondere das von der Zeit mitgestiftete Netz gegen Nazis dient dieser aparten Aufgabe, wobei es sich von selbst versteht, daß in den gleichen Topf auch alles geschmissen wird, was auch nur rechts von der CDU steht.

Hinzu kommt, daß Jessen die Schuld für diese Auswüchse am falschen Ort sucht. Ein Bekannter schrieb mir treffend:

Er macht für die sog. Affäre (wie auch für den Bayreuth-Eklat) die unzureichende „Aufarbeitung“ des Nazi-/ Neonazitums verantwortlich, anstatt die Dynamik des strukturellen Antifaschismus zu benennen. Außerdem hinkt sein Vergleich mit den Berufsverboten gegen Linke in den 1970ern: Denn damals war der Staat (aufgrund eines nachwirkenden alten Staatsethos) zwar gegen sehr linke Beamte eingestellt, aber die Gesellschaft war dafür. Heute sind Staat und Gesellschaft einig gegen Rechts!

„Soziale Isolation ist das Zusammengeschlagenwerden auf Raten.“ (Michael Klonovsky). So gesehen kommen die guten Cops viel zu spät, denn das Opfer hat seinen ersten Schläge und Tritte schon abgekommen. Die Gesichter und Namen Drygallas und ihres Freundes Michael Fischer sind tagelang durch die Massenpresse gegangen, und wenn auch die Ehre der Sportlerin letzten Endes und zumindest auf dem Papier halbwegs gerettet wurde, so kann man sich doch unschwer den öffentlichen und privaten Druck ausmalen, der nun auf dem Paar lastet – von der erheblichen Hypothek für beider Berufs- und Karriereaussichten ganz zu schweigen.

Vor allem aber ist dem pädagogischen Zweck der erzwungenen sozialistischen Selbstkritik Drygallas (es gibt diesen Sommer einige Fälle von der Sorte) ausreichend Genüge getan: strafe einen, erziehe Tausende. Was wie immer hängen bleiben wird, ist die Botschaft, daß auch nur die Kontaktnähe zu (wie auch immer gearteten) „rechten“ Personen schwerste Konsequenzen mit sich zieht. Und daß man gegenüber den zum Abschuß freigegebenen Menschen keinerlei Hemmungen mehr haben muß, was Anstand und Respekt, elementare Höflichkeit und Gerechtigkeit betrifft. Man hat damit quasi den Persilschein zum Schweinsein, und kann sich davon auch noch moralische Pluspunkte erhoffen. Und es gibt genug Menschen, die bei einem solchen Angebot mit Vergnügen zugreifen.

Die Vorstellung, daß der Rechte keine Rechte habe, ethisch defekt sei und generell keine anständige Behandlung verdiene, ist inzwischen weit ins Bewußtsein der breiten Masse eingesickert.  Ein wesentlicher Baustein, damit dies funktioniert, ist die soziale Angst:  wenn schon der bloße Kontakt schuldig und anrüchig macht, muß man sich umso beflissener beeilen, die eigene Weste sauber zu bürsten, und am besten so, daß es möglichst viele Leute zu sehen bekommen.

Jeder, der das schon einmal am eigenen Leibe erlebt hat, weiß, wie schnell sich in einschlägigen Situationen Freunde und Bekannte in Heuchler, Lügner und Petzer verwandeln können, wie schnell die dem Menschen innewohnende Schäbigkeit und Kleinkariertheit zum Vorschein kommt. Bei anderen wird wiederum die Lust hervorgekitzelt, einmal den Richter, Kommissar und Inquisitor spielen zu dürfen. Und auf diesen traurigen Grundgegebenheiten baut das System der „Herrschaft des Verdachts“ auf.

In derselben Ausgabe der Zeit erklärt Daniel Cohn-Bendit, daß „Kampf gegen Rechts“ und Dauerbewältigung zwar an sich gut seien, aber nicht zur Gesinnungsschnüffelei ausarten dürften. An der gespaltenen Zunge erkennt man den guten, alten, verlogenen Dany wieder. Der „Kampf gegen Rechts“ ist in Deutschland eben nicht von „Unfähigkeit“ geprägt, wie er sagt, sondern von höchster Effizienz.

Für diese ist es völlig egal, ob Drygalla und Fischer nochmal davonkommen oder nicht. Das blaue Auge reicht schon aus. Nachdem die „bösen Cops“ zugeschlagen haben, dürfen nun die „guten Cops“ wie Jessen ran, ihre Rüstung auf liberalen Hochglanz polieren und sich im allgemeinen Kulissenschieben ganz nach vorne drängeln.


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